Forschung zu den Wirkungen von Biodanza – Dr.Markus Stück – Tanz mit dem Chaos, tanz

„Tanz mit dem Chaos, tanz!“

Die Wirkung von Biodanza auf Aktivierung, Deaktivierung und Überlastungshemmung

Empiriepraktikum 2002 – Gruppe unter Dr. Markus Stück –
Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie, Universität Leipzig

  1. Was ist BIODANZA ?

Es handelt sich um ein integratives Interventionsverfahren, bei dem der nonverbale Ausdruck mittels spezifischer Tanz- und Bewegungsmuster gefördert wird. Wie alle bewegungs- und körperorientierten Verfahren eignet sich das Biodanza vor allem zur Intervention bei stressbedingten Störungen. Es ist davon auszugehen, dass die Selbstregulationskompetenz angesichts krisenhaften Belastungserlebens erweitert wird. Dabei schafft das Biodanza über die Bewegung einen Zugang vor allem zum körperlichen Erleben von Aktiviertheit und Belastung. Pathogene Stresszustände werden konstruktiv in förderliche Aktivierung umgewandelt. Dabei werden stagnierte Verhaltensmuster zunächst durch Bewegung chaotisiert, um in der Folge eine Selbstregulation des Organismus zu Gunsten besserer Anpassung anzuregen. Gesundheit, Leistungsmotivation und vor allem Adaptationsfähigkeit des Individuums an krisenhaftes Belastungserleben werden so gefördert. In der Studie wurde mittels Erfassung der elektrodermalen Aktivität (siehe Methode) die Auswirkung des Biodanzass untersucht auf Aktivierung (fluktuierende, ARAS-kontrollierte Erhöhung des Niveaus vegetativer Parameter, Anspannung und Beschleunigung der Motorik etc.), Deaktivierung und Überlastungshemmung (bei Überbelastung des vegetativ-emotionellen Systems zur Mobilisierung letzter Reserven auftretender Zustand unspezifischer Hypersensibilität, mit dem Nutzen, das  gestörte Regulationsgefüge der emotionell-vegetativen Regulation noch einmal in Homöostase“ (Stück, M, Hecht, K, Schröder, H. & Rick, O. – 2001, S. 436 ff.) zu versetzen.)

  1. Fragestellung:

Im Rahmen des Empiriepraktikums sollte hier nur erkundend und lediglich deskriptiv die Auswirkung der Biodanza-Sitzungen auf die Aktivierung, Deaktivierung und Überlastungshemmung untersucht werden, welche über die jeweils charakteristischen EDA-ausschläge operationalisiert worden sind.  Hypothesen wurden demnach keine explizit formuliert.
Erwartet wurde jedoch eine Zunahme der Aktivierung

  1. Methode:

Die physiologischen Daten wurden über die Messung der elektrodermalen Aktivität (EDA) während und nach den Sitzungen gewonnen. Die Mess-Geräte wurden nur zum Duschen abgelegt und wurden von den 13 Versuchspersonen 48 Stunden getragen. Dabei handelte es sich um den von Hecht et. al am Berliner Institut für Stressforschung entwickelte
HI MEM. Es gestattet hochsensible kontinuierliche Messungen der EDA über mehrere Tage hinweg und stellt emotionell-vegetative Regulationsänderungen unter verschiedenen Bedingungen dar. Die Auswertung erfolgte über PC mittels spezieller Software (biorhythmometrisches Analyseverfahren, Hecht et al. 2002, ). Dabei lassen sich bestimmte Ausschläge als charakteristisch für Aktivierung, Deaktivierung und Überlastungshemmung interpretieren. Eine Darstellung dieser spezifischen Methode ist anschaulich in einem entsprechenden Artikel von Hecht dargestellt: Hecht, K., 2001, S.193 ff., in welchem der theoretische Hintergrund (Regulationstheorie, Kybernetik) sowie die Grundlagen der Regulationsdiagnostik mittels EDA (Frequenzbereiche, Periodizitäten) bzw. der Schrittfolge zur Auswertung des Dynamogramms erörtert werden.

Eine heterogene Stichprobe (Studenten, Strafvollzugsinsassen, Psychiatriepatienten, Berufstätige) nahm über einen Zeitraum von 10 Wochen an einer wöchentlichen Biodanza-Sitzung teil.  Pro Woche wurden 48 Stunden aufgezeichnet, innerhalb derer eine Biodanza-Sitzung von 2 Stunden stattfand.  Die hier aufgeführten Ergebnisse (siehe 4. Ergebnisse) beziehen sich auf Sitzung 1, 3, 5 und 10.

Abbildung 1: Beispielhaftes Dynamogramm einer einzelnen Versuchsperson

  1. Ergebnisse:

Als Ergebnis konnte auf rein deskriptiver Ebene festgestellt werden, dass nach den durchgeführten Biodanza-Sitzungen  die unspezifische sympathikotone deutlich Aktivierung zu-, während die parasympathische Deaktivierung abnahm. Die Überlastungshemmung nimmt ab. Exemplarisch sollen weiter unten (siehe 4. Ergebnisse) einige Daten in Form von Diagrammen dargestellt werden, dabei steht die Ordinate für den Prozentsatz der Aktivierung, der aus Mittelwerten der EDA errechnet worden ist (weitere Informationen in dem oben erwähnten Artikel von Hecht).

Hier nun auszugsweise Ergebnisse aus der Auswertung der Dynamogramme (siehe oben, 4. Methode) in Form aussagefähiger Diagramme. Die Aktivierung vor und nach den Biodanza-Sitzungen lässt sich gut am Prozentsatz der mittleren Aktivierung ablesen, der an der Ordinate abgetragen ist.

Abbildung 1: die EDA-Werte am Tag vor der Biodanza-Sitzung sind deutlich niedriger, als dannach

Wie Abbildung 1 zeigt, hat das Biodanza im Vergleich zum Vortag eine deutliche Aktivierungssteigerung zur Folge. Dies war ausnahmslos der Fall, auch bei den in der Nacht erhobenen Werten, wie das folgende Diagramm zeigt:

Abbildung 2: auch nachts ist die über EDA erfasste Aktivierung deutlich höher nach der Biodanza-Sitzung

Das auch in regenerativen Perioden mit überwiegender Tätigkeit des parasympathischen Systems eine höhere, unspezifische Aktivierung überrascht zunächst. Gleichwohl wird deutlich, dass das Biodanza in Bezug auf die körperliche Erregungs-Regulation deutliche Effekte zeitigt.

Folglich nehmen als deaktivierungstypisch zu interpretierende Effekte der EDA ab:

Abbildung 3: als für deaktivierende Regulation typisch zu interpretierende Ausschläge nehmen auch in der Nacht deutlich ab

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang vor allem die Frage nach der Auswirkung auf die Überlastungshemmung. Die durch das Biodanza initiierte höhere Aktivierung könnte plausiblerweise eine Überlastungshemmung zur Folge haben, die sich auch im über den HIMEM erhobenen Dynamogramm  zeigen sollten. Auch die Überbelastungshemmung nimmt jedoch ab – sowohl am Tag als auch in der Nacht:

Abbildung 4: abnehmende Überlastungshemmung am Tag (auch in der Nacht nachweisbar)

Wie man sehen kann, hat das Biodanza den gleichsam „paradoxen“ Effekt, einerseits die unspezifische Aktivierung zu erhöhen, andererseits die Überlastungshemmung im Dynamogramm zu verringern.

  1. Diskussion

Bereits dieser kurze Auszug aus einem weit umfassenderen Forschungsprojekt zum Biodanza bzw. zu körper- und bewegungsorientierten Verfahren allgemein zeigt die starke Auswirkung von Emotions- und Identitätsausdruck auf Prozesse und komplexe Wechselwirkungen des psychophysischen Regulationsgeschehens. Die Befundlage ist klar: das Biodanza aktiviert eindeutig. Als klärungsbedürftig erscheint folglich im hier dargestellten Ausschnitt  wohl vor allem die Abnahme der Überlastungshemmung bei gleichzeitiger, überdurchschnittlicher Aktivierung nach den Biodanza-Sitzungen. Eine mögliche Interpretation wäre eventuell der Einfluss einer positiven kognitiven Bewertungskomponente auf das Stresserleben: das Ausbleiben der Überlastungshemmung könnte auf die subjektiv positive Einschätzung des Trainings zurück geführt werden – womit der Effekt auf den Einfluss von Bewertungsprozessen auf die psychophysische Erregungsregulationstätigkeit (etwa im Sinne des Lazarus-Modells) hindeuten könnte. Selbstverständlich sind auch andere Interpretationen denkbar, festzustellen bleibt jedenfalls, dass das Biodanza als Methode einen deutlichen und stabilen Einfluss auf das psychophysiologische Regulationsgeschehen ausübt, was konstruktiv auf rein psychische Prozesse zurückwirken dürfte. Das Biodanza als Methode verdient jedenfalls weitere, umfassende Erforschung, vor allem im Kontext gelingender Belastungsbewältigung, der Psychohygiene und der Psychotherapie.

  1. Literatur

Hecht, K. (2001). Chronopsychobiologische Regulationsdiagnostik (CRD) zur Verifizierung von funktionellen Zuständen der Dysregulation. In: Emotioneller Stress durch Überforderung und Unterforderung, Milow: Shibri-Verlag, S. 193 – 252.

Rüder, H., Voigt-Spychala, C., Spychala, Th., Andler, S. & Hecht, K. (2001). Emotionell-vegetative Regulation im Schlaf. In: Emotioneller Stress durch Überforderung und Unterforderung, Milow: Shibri-Verlag, S. 443 – 458.

Stück, M, Hecht, K, Schröder, H. & Rieck, O.,  (2001), Emotionell-vegetative Regulation unter Höhenhypoxie und extremen Bedingungen des Hochgebirges (Cho Oy0 8201 m). In: Emotioneller Stress durch Überforderung und Unterforderung, Milow: Shibri-Verlag, S. 421 – 420.

 

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